Wie vermeidet man Machtkämpfe

Dokumentation einer Abendfachveranstaltung

… lautete das Thema des Gesprächsabends im Mai. Die Diplom-Sozialpädagogin Ulrike Scherer-Präger stellte zu Beginn des Abends schnell klar, dass die Formulierung nicht glücklich gewählt war, denn Machtkämpfe gehören zur Erziehung und sind für die Entwicklung des Kindes unerlässlich. Der Blick ist sinnvollerweise darauf zu richten, wie alle Beteiligten aus diesen Machtkämpfen unbeschadet hervorgehen.

Zunächst einmal stellte sich die Referentin vor. Sie hat selbst einen heute erwachsenen Sohn, arbeitete viele Jahre im Pflegekinderfachdienst unseres Landkreises, der damals bei der Caritas angegliedert war. Seit das Jugendamt diese Aufgabe wieder eingegliedert hat, arbeitet Frau Scherer-Präger mit halber Stelle bei der Erziehungsberatung der Caritas. Außerdem hat sie eine Praxis für Familientherapie.

Zunächst einmal wurden die Fragen des Publikums gesammelt und die Fragesteller nannten jeweils das Alter ihrer Kinder:

 

Was bewegt Sie bei diesem Thema?

· Konsequentes Handeln führt nicht selten zur Eskalation – Weg aus diesem Spannungsfeld (3 und 5 ½ Jahre)
· Gibt es schon Anzeichen beim Dialog? Spirale der Eskalation durchbrechen? (1 und 3 Jahre)
· Wie kommt man wieder in ruhigeres Fahrwasser? (9 und 12 Jahre)
· Alltagsauseinandersetzungen wie umgehen? (9 und 11 Jahre)
· Negative Konsequenzen „wenn, dann“ wie stoppen? (1 und 3 Jahre)
· Geschwisterstreitigkeiten / wann einschreiten?
· Machtkämpfe auf dem Weg zur Selbstständigkeit – wann Halt geben, wann loslassen? (14 und 17 Jahre)
· Kinder ignorieren Konsequenzen (eher Strafen)?
· Wann beginnt Machtkampf? (20 Monate)
· Sollen Eltern Gefühle zeigen oder eher cool bleiben? (13 und 15 Jahre)
· Ist Schreien zu vermeiden?

 

Zur Einführung machte Frau Scherer-Präger einige allgemeine Ausführungen zur Erziehung. Zunächst stellte die Referentin fest, dass es für Eltern gut ist, wenn sie die Erziehung aufspalten in eine geschäftliche und eine persönliche Seite. 80% der Kommunikation besteht aus alltäglichen Anweisungen und diese sind der geschäftlichen Seite zuzuordnen. Kinder wachsen in unsere Welt hinein. Sie sind zu Beginn völlig auf andere angewiesen. Die Eltern übernehmen die Verantwortung. Für den geschäftlichen Teil ihrer Erziehung werden sie von den Kindern nicht geliebt. Es gibt zunächst keinen Lohn für die Erziehungsarbeit. Eltern sollten sich nicht davon abhängig machen, dass das Kind sie liebt. In der Eltern-Kind-Beziehung gibt es keine Demokratie. Beim Zimmer aufräumen z.B. sind bis ca. 10 Jahren Anweisungen nötig wie „Räume zunächst das weg, dann das“. Von 10 bis ca. 13 kann die Aufforderung „Räume bitte dein Zimmer auf“ reichen. In der Pubertät, bei der in der vorderen Stirnlaffe das totale Chaos herrscht, erhält man auf die Frage „Wann räumst du dein Zimmer auf?“ die ernstgemeinte Antwort „Gleich!“ Aber alles geht schnell wieder vergessen. Die Aufforderung sollte also dann lauten „Nein, jetzt sofort“. Man muss aber dann auch bereit sein, dies durchzusetzen.

 

Trotzphasen und Pubertät sind individuelle Phasen über deren zeitliche Position oder Dauer keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können.

Die 1. Trotzphase liegt ungefähr zwischen 1 ½ und 3 ½ Jahren. Danach erst handeln Kinder bewusst. Kinder können sich in dieser Zeit manches noch nicht vorstellen, daher erfolgen dann Wutattacken mit anschließender Erschöpfung. Erklärungen sind aus diesem Grund fehl am Platz. Kinder in der 1. Trotzphase benutzen mit Vorliebe die Wörter „mein“, „mir“ und „alleine“. Bei Trotzanfällen (auf den Boden werfen, schreien) kann man innerhäuslich das Kind liegen lassen und weg gehen. Kurze Zeit später kann man wieder kommen und das Kind liebhalten. Außer Haus sollte man das Kind packen und den Ort verlassen, auf keinen Fall diskutieren. Während Machtkämpfen sollte man nur das androhen, was man auch bereit ist durchzuziehen. Eltern sollten sich nicht persönlich angegriffen fühlen. Man sollte mit Konsequenzen arbeiten und nicht mit Strafen. Wenn ein Kind zum Beispiel sein Mittagessen nicht isst, weil es angeblich satt ist, kann es auch keinen Nachtisch essen. Ihm aber deswegen am Nachmittag Fernsehverbot zu geben, ist nicht sinnvoll. Statt strafen von ungewolltem Verhalten sollte sowieso lieber mit Belohnung von gewolltem Verhalten gearbeitet werden.

Eltern sollten immer konkrete Ich-Botschaften senden. „Ich freue mich, wenn Du Deine Jacke aufhängst“ statt „Liebe Kinder hängen ihre Jacke auf“.

Wenn man Konsequenzen ankündigt, sollte man, nachdem man dem Kind noch ein wenig Zeit gelassen hat, noch einmal die Hand reichen. Das kann dazu führen, dass der Widerstand nicht verstärkt wird, vielleicht sogar aufgegeben wird.

Wichtig in der Kindererziehung ist es, die Eltern- und die Kindebene voneinander zu trennen und einzuhalten. Eltern sind immer Eltern, Kinder immer Kinder. Eltern und Kinder sind nie gleichberechtigte Partner. In der Erziehung ist es wichtig zu begreifen, dass Machtkämpfe nicht vermieden werden können und sollen. Lediglich eine Vermeidung von Eskalation ist anzustreben. Wenn der Konflikt beigelegt ist, sollte er nicht mehr aufgerollt werden. Das erschien einigen Anwesenden bemerkenswert und nicht so leicht.

Trotzphase, Pubertät aber auch Midlifecrisis sind 3 Phasen, die sich ähneln.

 

In der Pubertät ist es wichtig, dass Eltern handeln und nicht „labern“. Elterliche Präsenz ist Jugendlichen lästig aber sehr wichtig. Eltern und Kindern erreichen in dieser Phase keine Kooperation. Sie befinden sich vielmehr in einer Machtspirale. Im Vorfeld muss überlegt werden, was einem wichtig ist. Absprache zwischen Eltern ist nötig. Hat sie nicht stattgefunden oder sind Eltern sich uneinig, muss das durchgesetzt werden, was der erste gesagt hat. Keinesfalls darf man dem anderen in den Rücken fallen. Bei älteren Kindern kann man auch in ihrer Anwesenheit diskutieren

 

Nach den allgemeinen Ausführungen, die schon manche Frage beantwortet hatten, folgte die Beantwortung noch offener Fragen.

 

Wie kann schlechtes Benehmen bei Tisch konsequent unterbunden werden?

Zunächst einmal merkte Frau Scherer-Präger an, dass erst bei 8 – 9-jährigen Tischmanieren konsequent eingefordert werden können. Vorher ist vieles noch Produkt des Zufalls (Umstoßen eines Glases) oder der Neugier (wie fühlt sich das an). Es geht in diesem Fall immer um individuelle Grenzen der Eltern, die je nach Tagesform manchmal unterschiedlich sind(„Was kann ich heute aushalten“). Das macht es für die Kinder unübersichtlicher.

 

Sollte man eher Gefühle zeigen oder cool bleiben?

Eltern sollten auch mal Gefühle zeigen (Trauer und Tränen), aber nicht als Waffe. Eigene Betroffenheit gibt dem Kind eventuell eine Waffe. „Das-ärgert-mich-jetzt-aber-Gefühle“ gehören zum Menschsein dazu. Je älter die Kinder sind, desto eher kann man Gefühle zeigen. Sonst ist ein „Ich brauche jetzt mal Abstand“ der bessere Weg.

Wenn nötig sollte man sich bei Kinder durchaus auch entschuldigen. Dann lernen Kinder, dass Eltern auch Fehler machen und trotzdem die Welt nicht einstürzt.

 

Sollte man bei Geschwisterstreit eingreifen?

Zunächst stellte die Referentin fest, dass nicht immer der ältere einen Streit anfängt. Man sollte wenn überhaupt nicht so früh eingreifen, nicht Detektiv spielen und niemals parteilich sein. Eingreifen sollte man nur bei Eskalation (z.B. Schlagen) oder wenn der Unterlegene „Aufhören“ schreit und der „Gewinner“ nicht aufhört. Dann sollte man die Streithähne trennen.

Ein guter Rückzugsort für Eltern ist das Bad. Dort kann man den Spiegel nutzen im Sinne von „Ich … Jahre alt lasse mich doch nicht von meiner …jährigen Tochter provozieren“.

Unterschiedlichkeiten bei Geschwistern (z.B. Alter) müssen gelebt werden. Grenzen müssen in diesem Zusammenhang gesetzt werden (jünger – noch nicht so lange fernsehen), werden ausgetestet.

 

Wie kommt man in ruhigeres Fahrwasser?

Am ehesten indem man aus der Situation geht. Bei kleineren Kindern ist eine räumliche Trennung gut. Auch ein gemeinsames Spiel bringt manchmal Ruhe. Erwachsene sollten auch ihre persönliche Seite betonen, z.B. mal alleine Pizza essen gehen, aber auch ein Elternteil mit einem älteren Kind. Gerade auf ältere Kinder sollte man auch mal zugehen. Mit beigelegten Machtkämpfen sollte man abschließen, auch verzeihen ist gefragt. Man sollte sich als Eltern gewiss sein, dass es keine fehlerfreie Erziehung gibt, daher nicht über Fehler grübeln. Ein schlechtes Gewissen ist kein guter Ratgeber.

 

Fazit: Reibung erzeugt Wärme und Nähe. Im Grunde ihres Herzens lieben alle Kinder ihre Eltern. Als Paar miteinander reden, bringt Klarheit und weniger Stress. Auch eine Gruppe kann hier Entlastung bieten.

 

Frau Scherer-Präger empfahl das Buch „Autorität ohne Gewalt“ von Haim Omer und Arist von Schlippe und von Michael Winterhoff „Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Oder: Die Abschaffung der Kindheit „.

Zuletzt las sie den Anwesenden das Gedicht „Du hast mich überhaupt nicht lieb“ vor, das sich schon gut ein Jahr zuvor auf unserer Homepage befand.

 

 

Herzlichen Dank für einen engagierten und lebensnahen Vortrag von dem sich die Zuhörer sicher etwas mitnehmen konnten. M.R.