„Ich will meine erste Mama besuchen“

Soll man Adoptivkindern einen Besuch ermöglichen und wenn ja, wann?

Im April trafen sich 17 Interessierte, um ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema „Ich will meine erste Mama besuchen“ auszutauschen.  Ausgangspunkt für das Thema dieses Abends war die Aufforderung einer 5jährigen an ihre Adoptiveltern. Wenn Adoptiveltern mit einer solchen Frage konfrontiert werden, ist nicht immer schon eine feste Meinung dazu vorhanden. Die Überlegungen und das Abwägen von Für und Wider nehmen einigen Raum ein. Dabei kann der Austausch mit Betroffenen Hilfe und Anregung sein.


Zunächst einmal näherten wir uns dem Thema aus der Sicht eines Kindergartenkindes. Früher wird es zu einem solchen Wunsch wahrscheinlich nicht kommen. Danach wurde ein Blick auf das Thema aus der Sicht von Grundschulkindern geworfen, anschließend wurde die Gruppe der 10 – 12jährigen betrachtet und zuletzt die über 12jährigen, wobei in den beiden letzten Gruppen die Grenzen je nach Reife der Kinder nicht mehr so genau zu ziehen sind.

 

Alle Anwesenden waren sich darüber einig, dass eine Begleitung durch das JA bei einem solchen Vorhaben wünschenswert und hilfreich ist. Außerdem herrschte Einigkeit darin, dass zunächst das Gespräch zwischen den Erwachsenen (ohne Kind) gesucht werden sollte. Es wurden einige Punkte zusammengetragen, die dafür sprechen, wenn es möglich ist, mit dem Adoptivkind ein Treffen mit der leiblichen Mutter (oder den leiblichen Eltern) zu vereinbaren. In frühem Alter sind Kinder noch sehr unbedarft und gehen daher natürlicher damit um. Sie erkennen die Tragweite noch nicht und erfahren, wenn die Adoptiveltern damit gut umgehen können, Adoption als etwas Normales. Wissen ist, und das gilt für alle Altersstufen, immer Neugierbefriedigung und trägt dazu bei, dass Verarbeitung möglich ist. Ungewissheit erzeugt oft Phantasien, die nicht hilfreich sind. Die Anwesenden gingen davon aus, dass ein Treffen mit der Herkunftsfamilie in frühem Alter auf keinen Fall schadet. Das bestätigten auch die Adoptivmütter, die solche Kontakte bereits erlebt haben.

Sowohl Kindergarten- als auch Grundschulkinder haben eine tiefe Bindung an die Adoptiveltern und werden durch ein Treffen nicht hin und her gerissen sein. Bei Grundschulkindern kann vielleicht die Anbahnung eines Treffens durch Briefe erfolgen, die das Kind (mit)gestaltet.

Je älter Kinder werden, desto eher rückt der Punkt ins Blickfeld, dass man durch einen offenen Umgang mit dem Thema Adoption ein Vertrauensverhältnis geschaffen hat, welches Adoptiveltern aufs Spiel setzen, wenn sie ein Treffen ablehnen. Außerdem wird die Gefahr mit zunehmendem Alter (ca. ab 10) groß, dass die Adoptivkinder sich selbst auf die Suche begeben. Gerade das Internet bietet da für Kinder schon eine Fülle an Möglichkeiten. Für Jugendliche, gerade in der Pubertät, bekommt „ihr Thema“ ein stärkeres Gewicht und wird nicht mehr oberflächlich betrachtet. Für den Loslösungsprozess in der Pubertät kann die Beschäftigung mit den Wurzeln unentbehrlich sein.

 

Es gibt aber auch einige Punkte, die dagegen sprechen könnten, ein Treffen mit der Herkunftsfamilie ins Auge zu fassen. Kindergarten- und Grundschulkinder wären sicher sehr verwirrt, wenn sie spüren würden, dass die Adoptiveltern seelisch überfordert sind. Stille Signale spielen dabei, wie im Übrigen beim Thema Adoption immer, eine große Rolle.

 

Einige Situationen schließen generell die Möglichkeit von Treffen der Adoptivkinder mit der Herkunftsfamilie aus. Zum Beispiel wenn auch beim JA keinerlei Informationen über die leiblichen Eltern vorliegen, wenn die Herkunftseltern kein Treffen wollen oder wenn die Hintergrundgeschichte eine sehr schwierige ist. Dann bleibt es dem erwachsenen Adoptierten überlassen, wie weit er dennoch suchen möchte oder versuchen will, seine Herkunftsfamilie zu überzeugen. Sehr schwierige Hintergründe können gefestigte Erwachsene eher verarbeiten als Kinder.

Wenn sich Herkunftsfamilien in schwierigen Lebensumständen befinden, besteht die Gefahr, dass das Kind, aber auch die Adoptiveltern, diese Probleme zu ihren eigenen machen. Wenn diese Gefahr gegeben ist, kann es sinnvoll sein, auf Treffen zunächst zu verzichten.

 

Einige Anwesende sahen eine geringe Entfernung zwischen leiblicher und Adoptivfamilie als Hinderungsgrund, weil dann eine „Zerrissenheit“ des Adoptivkindes entstehen könnte. Außerdem bestünde die Gefahr, dass man sich ungeplant über den Weg läuft oder dauernd darauf wartet. Andere sahen aber darin gerade die Möglichkeit, etwaigen Phantasien, ob eine fremde Frau, die man irgendwo sieht, die leibliche Mutter sein könnte, den Boden zu entziehen. Am Ende waren sich alle darüber einig, dass die jeweilige Herkunftsgeschichte wohl den Ausschlag geben wird.

 

Ein Anwesender sagte, es könnte auch dagegen sprechen, die Herkunftsfamilie eines Kindes zu treffen, wenn dies für dessen Adoptivgeschwisterkind unmöglich wäre. Dagegen wurde jedoch eingewandt, dass jedes Adoptivkind ein Anrecht auf seine eigene Geschichte hat, die für sich alleine betrachtet werden sollte.

 

Krankheit oder eine Zeit seelischer Belastung ist immer ein Grund, Treffen mit der leiblichen Familie aufzuschieben. Bei älteren Kindern sollten erste Treffen auch nicht zu Zeiten von Prüfungen oder anderen wichtigen Ereignissen stattfinden.

 

Es wurden also viele gute Gründe dafür gefunden, Treffen mit der Herkunftsfamilie zu ermöglichen, aber auch Gründe dagegen. Eine Abwägung im Einzelfall ist immer erforderlich.

 

Wenn es nicht zur Kontaktaufnahme mit den leiblichen Eltern kommen kann, z.B. weil ihre Adresse unbekannt bleibt, kann man in der Akte beim Jugendamt hinterlassen, dass man gerne Kontakt aufnehmen würde.

Wollen die leiblichen Eltern keinen Kontakt, so kann man dem Kind signalisieren, dass man es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen wird. Manchmal lassen sich im Umfeld der Herkunftseltern dann auch andere Verwandte finden, die gegen eine Kontaktaufnahme nichts einzuwenden haben.

 

Ist das Jugendamt nicht bereit, bei der Suche zu helfen, können die Adoptiveltern selbst forschen, müssen dabei aber besondere Vorsicht walten lassen, da eventuell nicht bekannt ist, ob das Umfeld der leiblichen Mutter überhaupt etwas von einem abgegebenen Kind weiß. Jegliche Aktivitäten sind daher genau abzuwägen.

 

Bei jugendlichen und erwachsenen Adoptierten sollte es jedoch ausschließlich in deren Ermessen liegen, ob, wann und wie gesucht wird. Das „Gefundene“ kann besser getragen werden, wenn der Adoptierte selbst hinter der Suche steht. In diesem Fall sollten Adoptiveltern ihre Bereitschaft signalisieren und Hilfe anbieten, aber auch akzeptieren, wenn der Adoptierte alleine oder auch gar nicht Suchen und Finden möchte. (M.R.)