Früher Verlust familiärer Wurzeln und seelische Folgen Drucken E-Mail

Im Heft impu!se Nr. 50 machte Irmela Wiemann 2006 folgende interessante Ausführungen zum frühen Verlust familiärer Wurzeln und den daraus resultierenden Folgen, die nichts an Aktualität verloren haben:

Adoptierte oder früh in Familienpflege gegebene Kinder führen zwei Leben: Eines mit ihrer emotionalen Familie in Alltag und Normalität – und eines voll seelischem Schmerz, von den eigenen Eltern fortgegeben worden zu sein. Wir wissen aus der Säuglingsforschung, dass Neugeborene ihre Eltern an der Stimme, der Sprache, am Herzschlag und am Geruch erkennen. Neugeborene spüren und speichern den Verlust, den Bruch im Leben. Es gibt vielfältige seelische Folgen, z. B. lebenslange Selbstunsicherheit, Ängste vor neuer Trennung, Selbstzweifel und Selbstablehnung. Die in Schweden erstmals nachgewiesene hohe Rate von Suizid und Suizidversuchen bei ausländischen Adoptierten oder der erhöhte Anteil von Adoptierten in der Psychiatrie sind deutliche Hinweise auf die Störanfälligkeit von Menschen mit frühen Verlusten und Beziehungsabbrüchen.


Loyalitäts- und Identitätskonflikte

Die meisten Adoptierten wollen viel über ihre Abstammung, ihre physische und psychische Konstitution und die Umstände ihrer Fortgabe wissen. Schon vierjährige Kinder fragen: ›Ich wüsste so gern, wie meine Bauchmama aussieht.‹ Oder: ›Wenn unsere Nachbarn mich damals geholt hätten, wäre ich dann jetzt ihr Kind? Warum wollte mich meine Mama nicht? Was war an mir nicht richtig, was habe ich falsch gemacht?‹

Viele Adoptiv- und Pflegekinder gehen davon aus, ihre leiblichen Eltern seien ›schlecht‹ oder ›wertlos‹. Doch auch Loyalitätskonflikte beherrschen ihr Leben: Dürfen sie ihre emotional-sozialen Eltern ganz und gar lieben? Könnte die leibliche Mutter dies missbilligen? Und wenn sie Sehnsucht nach ihren leiblichen Eltern zeigen, werden sie dann von den annehmenden Eltern abgelehnt? Manche Kinder und Jugendlichen wollen ihrer unbekannten Mutter oder ihrem unbekannten Vater Treue beweisen, indem sie wie diese werden. Ich kenne einen Fünfzehnjährigen, der zu seinen erfolgreichen Adoptiveltern sagt: ›So viel wie ihr kann ich nie erreichen. Mein Vater war ganz unten. Ich gleiche ihm.‹ Dies ist kein Einzelfall.

 

Geeignete Bewältigungsstrategien

Um solche Beunruhigung zu vermeiden, wollen manche Adoptiveltern Kindern die Adoption verschweigen, bis sie wesentlich älter sind. Zwar können wir Informationen von Kindern fern halten, nicht aber die dazu gehörigen Gefühle. Ahnungen und Vermutungen binden seelische Energie beim jungen Menschen. Geheimnisse erschüttern das Vertrauensverhältnis

zwischen Eltern und Kind. Der entgegen gesetzte Weg entlastet Kinder und fördert ihre Reifung: Informationen über die Herkunftsfamilie, Name, Alter und die Gründe der Fortgabe. Wenn annehmende Eltern dazu die Herkunftseltern ihres Kindes achten, sie mit dem Kind deren Verlust oder auch deren negative Seiten betrauern, dann können Adoptierte oder Pflegekinder sich mit ihrer zweifachen Elternschaft oftmals aussöhnen.

Auch Kontakte zur Herkunftsfamilie können Pflege- und Adoptivkindern helfen, ihre Ausnahmesituation zu bewältigen. Manche annehmenden Eltern geben den Herkunftseltern einen emotionalen Platz: ›Deine schönen Haare hast du von deiner ersten Mama, deine Sportlichkeit hast du von deinem ersten Papa‹. Dies sind gute Voraussetzungen für eine positive Entwicklung eines früh von seinen familiären Wurzeln getrennten Menschen.

 
< zurück   weiter >
© 2007 Adoption unser Weg | © Template by goP.I.P. | valide xhtml | valide css | joomla.org
Webdesign auf Usedom and Joomla