"Was erzählen wir wem" Blickwinkel: "Nun haben wir ein Kindergartenkind"

Austausch zwischen erfahrenen und betroffenen Adoptiveltern

"Nachdem nach Ankunft des Kindes die Phase der ersten Neugier abgeklungen ist und mit allen wichtigen Personen des Lebensumfeldes gesprochen wurde (Thema des letzten Abends), kehrt meist zunächst ein wenig Ruhe ein.", so ein Ausschnitt aus dem Bericht zum Gesprächsabend im Juni. Hier in Bild und Wort die Gedanken zu diesem Abend:

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Im Juni 2008 trafen sich 11 Interessierte, um ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema auszutauschen.  Ausgangspunkt auch für dieses Thema waren die Wünsche der Besucher des ersten Gesprächsabends im März. Es stellte sich damals beim Zusammentragen verschiedener Gesprächswünsche heraus, dass sich viele Gedanken rund um das Thema „Was erzählen wir wem?“ drehen. Damit an den Abenden genug Zeit für aktuelle Probleme und Themen bleibt und auch der zwischenmenschliche Austausch nicht zu kurz kommt, haben wir das Thema in verschiedene Aspekte unterteilt:

o        Der heißersehnte Anruf

o        Nun haben wir ein Kindergartenkind

o        Jetzt geht unser Adoptivkind in die Schule

o        Hat unser Kind keine Intimsphäre?

Nachdem nach Ankunft des Kindes die Phase der ersten Neugier abgeklungen ist und mit allen wichtigen Personen des Lebensumfeldes gesprochen wurde (Thema des letzten Abends), kehrt meist zunächst ein wenig Ruhe ein.

Als erstes werden Adoptivmütter dann mit dem Thema konfrontiert, wenn sie eine PEKiP Gruppe besuchen. Dort ergeben sich häufig Gespräche und Fragen in Richtung Geburt und Stillen. Die Anwesenden waren sich einig, dass es hier angebracht ist, darüber zu sprechen, dass das eigene Kind adoptiert ist, da es zu einer Entlastung führt, Fragen nach der Geburt und den Gründen des Nichtstillens nicht ausgesetzt zu sein. Außerdem merkten Adoptivmütter an, die eine solche Gruppe besucht haben, dass in der Regel rasch ein enger menschlicher Kontakt entsteht und auch aus diesem Aspekt heraus die Information über die Adoptionstatsache gut ist.

Anders sahen es manche Gesprächsteilnehmer in Richtung Krabbelgruppen. Hier ist die Verbindung oft nur lose und Fragen, die in Richtung Geburt und ähnlichem gestellt werden, können eher ausweichend bzw. unverbindlich beantwortet werden. Sicherlich gibt es hier Unterschiede, je nachdem ob man in einem kleinen Ort wohnt oder in einem größeren oder gar in einer Stadt. Außerdem wird es auch eine Rolle spielen, ob man zugezogen ist oder schon lange in dem Ort wohnt und stark ins Dorfleben eingebunden ist. Hat man viele Kontakte dort, wo man lebt, wird man mit der Adoptionstatsache eher offen umgehen. 

In der Gruppe derer, die direkt nach der Adoption fragen, spielen die Neugierigen eine besondere Rolle. Hier sollte man den Mut haben, diesen deutlich zu sagen, dass man nicht mit ihnen über dieses Thema sprechen möchte. Das ist sicher manchmal leichter gesagt als getan. Aber zum Schutz des Kindes hat man auf jeden Fall das Recht, deutlich zu antworten. Bei neugierigen „Bohrern“ können zwei Wege hilfreich sein. Entweder reagiert man humorvoll, oder die Antworten sind eher ironisch. Je nachdem wie man drauf ist oder was man besser kann, bzw. je nach Einzelfall, kann man sich unterschiedlich entscheiden.

Handelt es sich um Fremde (z.B. im Urlaub), die fragen, weil das Kind anders aussieht, ist es ziemlich egal wie man reagiert, da man sie vermutlich nicht wieder sieht. Wenn das nicht mehr ganz kleine Kind jedoch dabei ist, wird es ein Lernprozess für das Kind sein, wie man mit dem Thema Adoption umgehen kann. Einerseits muss es lernen, dass Adoption kein Geheimthema ist, andererseits ist das Signal wichtig, dass auch Adoptivkinder eine Intimsphäre haben, die man schützen darf.

Oft stellt sich einem die Frage nach der Notwendigkeit einer „Aufklärung“ von Personen, die auf die Ähnlichkeit mit den Adoptiveltern anspielen. Die Besucher dieses Abends waren sich einig, dass in diesem Fall kein Gespräch gesucht werden muss. Im Beisein aufgeklärter Kinder genügt da schon ein Schmunzeln zwischen Adoptiveltern und Kind. Es gehört zum Aufklärungsprozess hinzu, dass das Kind lernt, dass man sein Aussehen, wenn überhaupt, von den leiblichen Eltern „erbt“.

 

Neben den Menschen, die Fragen stellen und die dann entweder informiert oder auch nicht informiert werden, stellt sich Adoptiveltern gerade bei kleineren Kindern die Frage, welche Personen von der Adoption in Kenntnis gesetzt werden sollten. Bei wem sollten Adoptiveltern von sich aus die Initiative ergreifen?

Hier ist zunächst über Ärzte nachzudenken. In vielen Fällen spielt die Frage nach der Familienanamnese eine Rolle. Dann muss sicher der Arzt informiert werden. Auch wenn das Kind zunächst unter seinem leiblichen Namen auf der Krankenversicherungskarte steht, ist ein klärendes Gespräch mit dem Arzt von Nöten mit deutlichem Hinweis darauf, dass die Patientenkarte (oder der Eintrag im PC) so gestaltet sein muss, dass man nicht mit dem leiblichen Namen aufgerufen wird.Wenn Kinder älter werden, ist beim Besuch neuer Ärzte wieder nachzudenken, ob die Nennung der Adoptionstatsache wirklich nötig ist. Adoptivkinder ab einem gewissen Alter möchten nicht mehr, dass mit „Fremden“ über ihre Geschichte gesprochen wird. Dies ist zu berücksichtigen.

Die Diskussion, ob mit den Erzieherinnen über die Adoption gesprochen werden sollte, nahm größeren Raum ein. Manche Adoptivmütter versprachen sich davon offensiv gegen Gerüchte und Vorurteile vorgehen zu können und dem Thema einen „normalen“ Touch geben zu können. Außerdem möchte man die Erzieherinnen in die Lage versetzen zu reagieren, wenn das Thema zwischen den Kindern aufkommt. Die Erzieherinnen sollten das Kind aber nicht direkt darauf ansprechen. Es wurde berichtet, dass in einem Kindergarten ausführlich über das Thema „Ich“ gesprochen worden war, mit den Aspekten „Male Deine Eltern“ und ähnlichem. Da sei es wichtig, dass die Erzieherin Bescheid weiß.  Es solle ein Gespräch mit vereinbartem Termin ohne das Kindergartenkind geführt werden, bei dem jedoch keine Details mitgeteilt werden. Andere sahen die starke Gefahr, dass ihr Kind damit in eine „Schublade“ gesteckt werden könnte. Zum einen in die „Mitleidsschublade“, zum anderen aber auch in die negative Schublade „Wer weiß schon wo die/der herkommt“. Es wurde darauf hingewiesen, dass es sicher viel auf das pädagogische Geschick einer Erzieherin ankommt, wie sie mit der Adoptionstatsache umgeht; egal ob sie es dabei von den Adoptiveltern oder durch das Kind oder ein Gespräch zwischen Kindern erfährt. Die pädagogisch geschulte, einfühlsame, erfahrene Kraft wird einen guten Weg finden.

Auch die Tagesmutter ist eine Person, mit der man über die Adoptionstatsache sprechen sollte, denn sie verbringt einen großen Teil der Zeit mit dem Kind.

Mit neu hinzugewonnen Bekannten wird man nur dann sprechen, wenn man sich sehr nah gekommen ist. 

 

Der letzte Teil des Abends wurde noch dem Gespräch mit dem Kind gewidmet. Sicherlich ist dies aber ein Thema, dem man einen eigenen, wenn nicht mehrere Abende widmen sollte. Hier waren sich alle Anwesenden einig, dass man schon früh mit einer kleinen, ausbaufähigen Geschichte beginnen sollte, über die sich die Adoptiveltern austauschen müssen. Jeweils alters- und kindgerecht, nicht aufgezwungen, in einer lockeren, vertrauten Atmosphäre kann am besten mit dem Kind darüber gesprochen werden. Zunächst wird es vermutlich ein relativ einseitiges Gespräch sein, das sich erst im Laufe der Jahre zu einem richtigen Gespräch entwickelt. Lügen haben bei der Adoptionsaufklärung keinen Raum, denn wenn sie später aufgedeckt werden, erschüttern sie das Vertrauen zwischen Adoptiveltern und dem Kind ganz erheblich. 

Zum Abschluss wurde noch einmal betont, dass das „Bauchgefühl“ immer eine wichtige Rolle spielt. Im Zweifel wird man mit Außenstehenden nicht darüber sprechen, dass das Kind adoptiert ist. Wenn man ein gutes Gefühl hat, wird man positive Signale zum Thema Adoption setzen können.

Es ging ein Abend zu Ende, an dem ausgiebig darüber gesprochen wurde, welche Vor- und Nachteile es haben kann, wenn man mit den Erzieherinnen des Kindes das Gespräch zum Thema Adoption sucht. Jede Familie wird hier und auch in anderen Situationen für sich abwägen müssen, ob man zu einem aufklärenden Gespräch bereit ist, wie das Adoptivkind mit dem Thema umgeht und ob andere Aspekte für ein aufklärendes Gespräch sprechen. Eine Patentlösung dazu gibt es nicht. Details jedenfalls, da waren sich die Anwesenden einig, gehören grundsätzlich nicht zum Inhalt eines solchen Gesprächs. Vermutlich im August werden wir uns dann dem Aspekt zuwenden, was wir wem erzählen, wenn Adoptivkinder in die Schule gehen. (M.R.)