Gedankenkinder - Unser aktuelles Buch (9)

Gedichte von Patricia Knappe

Ich gestehe ehrlich, dass ich voreingenommen war, als ich dieses Buch zu lesen begann. Hatte ich zuvor schon oft von dem Buch gehört, so war ich doch der Meinung, dass Gedichte dem Thema Adoption nicht gerecht werden könnten. Warum eigentlich? Wahrscheinlich weil Gedichte grundsätzlich nicht zu meinem Leserepertoire gehören. Als mir aber nun jemand anbot, ich könne mir den Gedichtband ja bei ihm einmal ausleihen, habe ich zugegriffen und…


wurde angenehm überrascht. Einige der Gedichte machten mir, der vom Thema so sehr Betroffenen, eine Gänsehaut und ich musste schlucken. Ich kann jedem, der mit den Themen Pflegekinder oder Adoption zu tun hat, die stille und intensive Lektüre dieses Buches nur empfehlen. Vielleicht eignet sich ja gerade die Zeit zwischen den Jahren dazu.

Hier ein Auszug, der Interesse wecken soll:

 

Der Bonsai

 

In einem Garten gleich nebenan

Sah ich vor Tagen einen alten Mann.

Er arbeitete sich die Hände ganz wund.

Er hockte am Boden, den Rücken ganz rund.

Ich hatte Zeit und so fragte ich ihn eben:

„Kann ich Ihnen Hilfe geben?“

 

So kam er dann ran an den neuen Zaun

Und hielt im Arm einen kleinen Baum.

Er lächelte sanft, und die Augen ganz weise

„Das ist ein Bonsai nach langer Reise

Hat er nun ein neues Zuhause gefunden.

Dafür habe ich mir gerne die Knie geschunden.“

 

Ich sah mit Entzücken den perfekten Baum.

40 Zentimeter kaum, die Krone,

der Stamm  und die Wurzeln kompakt

von oben bis unten das Bäumchen intakt.

In einer Schale wuchs er heran,

damit man ihn überall mitnehmen kann.

 

„Er braucht noch etwas Zeit zum Gewöhnen,

um sich mit dem neuen Platz zu versöhnen.

Ein wenig Schatten und Sonne und Regen.

Menschen, die ihn hegen und pflegen.

Liebe, Erziehung – sonst wird er zum Strauch,

sowas braucht ein Bonsai natürlich auch.“

 

Er sprach von dem Bäumchen wie von einem Kind,

dem man die erste Familie nimmt.

Doch solange man ihm die Wurzeln lässt,

steht es als Baum in der Schale ganz fest.

 

Er wird sich an den Garten gewöhnen

Und sich mit seinem Schicksal versöhnen.

Den ganzen Tag blieb ich dann dort.

Zum Dank erhielt ich manch liebes Wort

Und lauschte und lernte, was der kleine Baum

Erlebt schon hatte, es war ein Traum.

Jetzt würde er bleiben für lange Zeit.

Im Garten war für ihn alles bereit.